GEDANKEN DES DREHBUCHAUTORS

Pablo Callisaya

Pablo Callisaya

Ich gebe zu, dass mir bei Mundartliteratur der Einstieg immer etwas schwer fällt - und das war bei Béla Rothenbühlers PROVENZHAUPTSCHTADT nicht anders. Schliesslich handelt es sich um eine Sprache, die ich nur aus Textnachrichten so kenne. Nach nur wenigen Seiten war die Sprachbarriere jedoch überwunden und nicht nur das: ich war gefangen. Gefangen in der geistigen Welt des Protagonisten Thomas Müller. Ich konnte seine geheimen Gedanken nachvollziehen, teilen, fühlte mit ihm mit, hatte sogar das Gefühl, dass er Dinge ausspricht, die mir selbst auf der Zunge lagen, ich jedoch die passenden Worte dazu noch nicht gefunden habe. Und dann kommt noch der Humor dazu. Das kannte ich aus der Mundartliteratur noch nicht, das war neu.

Für mich war also gleich nach der Lektüre klar, dass ich mich dieser Aufgabe annehmen werde. Ich möchte bei dieser Adaption so nah wie möglich am Original bleiben, denn die Grunddramaturgie funktioniert grundsätzlich sehr gut. Die Story ist zu jedem Zeitpunkt spannend. Auch wenn Thomas eher passiv wirkt, ist er doch sehr getrieben von einem Ziel - zunächst von Schantis Liebesgunst und danach von der Besessenheit der schicksalshaften Verbindung mit dem anderen Thomas Müller. Intention and obstacle, nach Aaron Sorkin, sind auf den zweiten Blick die Grundpfeiler dieser, vor allem in Gedanken formulierten Ich-Erzählung.

Diese Gedanken stellen für mich als Drehbuchautor eine besondere Herausforderung dar, da ich bekanntlich nur mit Handlung und Dialog arbeiten kann. Ich beabsichtige hierfür vier dramaturgische Mittel einzusetzen: Voice Over, Flashbacks und -forwards, Dialogszenen und schliesslich die sogenannten Setups und Payoffs. Es gibt zum Beispiel Sätze im Buch, die so originell und witzig formuliert sind, dass es absolut Schade wäre, diese nicht eins zu eins als Voice-Over auch im Film so aussprechen zu lassen. Andere wiederum, vor allem wenn es um Anekdoten geht, die für die Figurenzeichnung oder die Handlung von Wichtigkeit sind (bspw. das Kennenlernen von Schanti), gewinnen an Qualität und Bedeutung, wenn sie als Flashback inszeniert werden. Bei der Umsetzung der Dialoge bleibe ich in Bezug auf Wortwahl und Tonalität nahe am Roman und freue mich auf die szenische Verdichtung und Akzentuierung. Während es Filme gibt, bei denen weniger Dialog mehr ist, scheint in dem Fall eine gewisse Geschwätzigkeit der Charaktere zur Story zu gehören – wie in gewissen Woody Allen Filmen.

Der Schluss des Buchs - so geht es vielen, die das Buch gelesen haben – ist unerwartet und wuchtig. Wir erfahren hier, dass Thomas von seinen Freunden gegen seinen Willen in eine Psychiatrie eingeliefert und dass die gesamte Geschichte von hier aus erzählt wird. Dieser Moment funktioniert im Buch sehr gut. Es kommt unerwartet und doch wirkt es nicht aufgesetzt oder übertrieben. Dieses Element soll im Film nicht fehlen, deshalb soll das Drehbuch genauso enden. Allerdings möchte ich das Drehbuch mit der ersten Hälfte dieser Schlusssequenz (flash forward) beginnen, verrate jedoch nicht, was genau passiert.

Dies soll für Verwirrung sorgen – Wer ist dieser Typ? Warum wurde er auf fast gewaltvolle Art in ein Auto gezerrt? Und was möchte er vom Fussballer Thomas Müller? Die Auflösung dieser Frage soll beim Publikum den Gedanken „damit hätte ich nicht gerechnet“ auslösen.

Die Adaption dieser Geschichte wird eine grosse Herausforderung und zugleich eine, auf die ich mich enorm freue. Einerseits, weil mir die Geschichte so gut gefällt und ich mich sehr mit der Hauptfigur identifizieren kann und andererseits, weil ich bis anhin nur Original-Drehbücher verfasst habe. Ich bin mir sicher, dieser humorvollen und klugen Luzerner coming-of-age Liebes-Tragikomödie gerecht zu werden und eine filmreife Vorlage zu schaffen, die viele Leute ins Kino bewegen kann. Francis Coppola meinte einmal: The task of cinema is to illuminate contemporary life” – mit diesem Gedanken im Hinterkopf möchte ich Thomas und seine Welt mit all seinen Facetten festhalten. Thomas leidet nämlich nicht an einer psychischen Krankheit, sondern erkrankt am Leiden seiner sogenannten Lost Generation. Wenn ich über eine Botschaft der Geschichte reflektiere, so erkenne ich mich ebenfalls wieder – was sicherlich auch dazu beiträgt, dass sie mir so gut gefällt – und zwar, wenn es eine Botschaft gibt, dann ist sie ein Appell zur Gelassenheit. Ja, Erste-Welt-Probleme sind auch Probleme, aber so schlecht geht’s uns historisch und geografisch gesehen auch wieder nicht. So interpretiere ich zumindest seine an uns Zeitgenossen gerichtete Botschaft.

Pablo Callisaya, geboren 1989 in Luzern, studierte Drehbuch und Dramaturgie an der Filmschule Septima Ars in Madrid, setzte sein Studium an der Zürcher Hochschule der Künste fort, wo er 2015 den Bachelor of Arts in Film absolvierte. Er gründete 2015 zusammen mit Moritz Hossli Tapir Film, arbeitet seither als freischaffender Autor, Regisseur, Produzent und leitet Drehbuch-Seminare an der Migros Klubschule in Luzern. Im Mai 2020 absolvierte er den Master Drehbuch an der ZHdK. Im Sommer 2019 rief er, zusammen mit der Produktionsfirma gangoluege, das Filmcamp Luzern für Jugendliche ins Leben.

FILMOGRAPHIE (AUSWAHL)

2022 DURCH SCHNITT: Dokumentarfilm | 71’ | Tapir Film | Regie und Produktion
2021 ZEIT UND LUST: Fiction | 35’ | Tapir Film | Drehbuch, Regie und Produktion
2019 22:47 LINIE 34: Fiction | 10’ | ZHdK | Drehbuch
2016 VOR LAUTER BÄUMEN: Fiction | 84´ | Tapir Film | Drehbuch. Regie und Produktion
2015 PALÄONTOLOGIE: Fiction | 13’ | ZHdK | Drehbuch und Regie

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