GEDANKEN DES AUTORS
Béla Rothenbühler
Um es vorwegzunehmen: Für mich geht hier ein Traum in Erfüllung. Ein Traum, den ich nie laut ausgesprochen hätte, der aber wahrscheinlich in den Hinterköpfen vieler Schreiber:innen herumgeistert: Die eigenen Figuren in Szene gesetzt und von grossartigen Spieler:innen verkörpert zu sehen.
Auch wenn Provenzhauptschtadt nicht für die Leinwand geschrieben wurde, sehe ich das filmische Potential der Geschichte — und glaube, dass sie durch die Adaption noch gewinnen kann. Besonders mit einem Team wie diesem. Nur schon die Drehbuchfassung von Pablo Callisaya atmet den Geist meines Textes durch und durch — und erweitert ihn gleichzeitig auf überraschende, sorgfältige und menschliche Weise. Alle anfänglichen Ängste zum Kontrollverlust über die eigene Geschichte, den so eine Adaption zwangsläufig bedeutet, waren durch den wertschätzenden Umgang des Teams mit der Provenzhauptschtadt nach wenigen Sitzungen ausgeräumt. Ich gebe den Roman also voller Vertrauen und Vorfreude in die Hände von Till Gmür und Damiàn Dlaboha und freue mich riesig auf das Leben, das Mathias Kurmann & co. ihm einhauchen werden. Ich persönlich kanns kaum erwarten, das Ding im Kino zu sehen.
De ganz huere Hemel voll Schwalbe. Schwalbebüüch ond Schwalbeschwänz,
wo äifach so omesäglid, voll äis metem Wend, Termik total em Körpergfüel. Die Sieche gschpörid ergendwie, wo dass de Ufwend aafot ond si träit. De ganz Hemel voll. Mosch nome de Chopf chli i Nacke leggen ond: Bämm, Schwalbe.
Klappenbroschur, ca. 180 Seiten
ISBN 978-3-03853-110-4
Erschienen im Januar 2021
im Verlag “Der Gesunde Menschenversand”
Seinen Schwalbensommer stellt sich der Ich-Erzähler Thomas eigentlich anders vor, wenn er sich hin und wieder dem Betrachten der Schwalben am Himmel hingibt. Als Schwalbe, wie Fussballer sie zum Punkteholen produzieren, erlebt er das Verhalten seines Freundes Brazzo. Und damit beginnt sein Absturz. Die beiden Freunde leben in der Provinz. Nicht in der tiefen, meint Thomas, sondern in deren Hauptstadt. Und darauf ist er schon ein wenig stolz. Doch das ändert nichts am leisen Trübsinn, den er nur in wenigen Glücksmomenten vergisst. Unglück in der Liebe vergällt ihm den anfänglich vielversprechenden Sommer der Fussballweltmeisterschaft 2018.
Dass dieses Ungemach aber eher komisch als tragisch wirkt, erreicht Béla Rothenbühler, indem er seinen Protagonisten als unzuverlässigen Erzähler immer leicht neben den Dingen und Begebenheiten her räsonieren lässt. Die daraus entspringende ironische Distanz verstärkt er durch die deutliche Markierung des Vokalismus in der Luzerner Mundart. Ein Luzernroman? Unbedingt! Aber für Menschen aller Hauptstädte und Provinzen.
Dem Autor gelingt ein humorvoller und einfallsreicher Roman über verpassten Fussball, verpasste Liebe und verpasste Freundschaft, kurz: über eine heutige Lost Generation, die ihre Verlorenheit nicht ganz ernst nimmt.
Pressespiegel
LUZERNER ZEITUNG
Neuer Dialekt-Roman des Luzerners Béla Rothenbühler:
Zuerst ist er einem ja recht «sümpatisch»...
Béla Rothenbühlers Roman ist auf Luzerner Dialekt. Ein echtes Hindernis.
Doch allmählich geht dem Lesenden ein Licht auf.
Von Arno Renggli, 14.02.2021
Klar streuen wir in SMS, Whats apps oder E-Mails Dialektwörter ein. Aber einen ganzen Roman auf Luzerner Deutsch lesen, das ist dann doch zunächst recht mühevoll. Und man fragt sich, was das überhaupt soll. Eine gute Story ist eine gute Story, was braucht es da das Handicap des Dialekts, das des Autors Absatzchancen ja auch noch geografisch einschränkt.
Béla Rothenbühler, Autor, Sänger, Songwriter und Mitglied des Theaterkollektiv Fetter Vetter & Oma Hommage, erzählt von einem Thomas Müller, der im Sommer 2018 in der titelgebenden «Provenzhauptschtadt» (Luzern) in den Tag (und in die Nacht) hineinlebt. Dabei helfen ihm seine WG-Kumpels, viel «Lile» (gemeint sind «Lillet»- Aperitifs), Besuche in der ländlichen Schwulen-WG eines befreundeten Hanfproduzenten plus die Fussball-WM, die er via «Pablic Viuing» mitverfolgt. Punkto Frauen verguckt er sich zum dritten Mal in eine Chantal. Gerne denkt er über das Leben von Schwalben nach (wobei es solche auch im Fussball oder im Zwischenmenschlichen gibt), aber auch über sein eigenes. Das ergibt dann ein Mitarbeiterselbstgespräch. Oder über verschiedene Kollegenkreise, die sich besser nicht tangieren sollten. Und darüber, dass man sich Freunde nicht aussuchen kann. «Aso chönntsch schon, aber denn hättsch nömm so vell.»
Man wird auf eine falsche Fährte gelockt
Rasch wähnt man sich in einer buchförmigen Spoken-Word-Performance, wo einer eine Geschichte zum Besten gibt, episodenartig, mit Witz und sympathischen Figuren. Dazu trägt natürlich der Dialekt bei, in schriftlicher Form erheitern phonetisch eingeluzernerte Fremdwörter wie «Brönnsch», «Midläifkräisis» oder «Oupen Maik». Man lässt sich im Tempo der gesprochenen Rede (schneller kann man das nicht lesen) bestens unterhalten. Und gerät prompt auf die falsche Fährte.
Das beginnt man zu erahnen, als die Sache mit «Schanti 3», in die Thomas wie noch nie verliebt ist, unter skrupellosem Zutun seines besten Kumpels brutal schiefgeht. Und allmählich fragt man sich, ob der Held wirklich so sympathisch ist. Oder nicht eher beschränkt, gar ein wenig sexistisch, urban blasiert, ausländer- und schwulenfeindlich. Was er empört von sich weisen würde. Der «Schanti»-Schock lässt ihn dann gar paranoid werden, indem er systematische Parallelen zwischen seinem Leben und dem des Fussballers Thomas Müller ortet. Und als die Deutschen in der Vorrunde sensationell ausscheiden, gerät ein belgischer Kicker mit praktisch dem gleichen Namen in sein realitätsverzerrtes Visier.
Der Dialekt ermöglicht erst die Doppelbödigkeit
Die eingebildete Verbindung des Luzerner Thomas Müller mit den Fussballern ist einer von vielen tollen Einfällen, welche die Story ausmachen. Die überdimensionierte Spoken-Word-Nummer entpuppt sich als richtiger Roman. Und es wird klar, dass die Mundart nicht nur Vehikel für ein paar Orthografie-Gags ist. Nicht einmal nur der Hauptfigur mehr Authentizität und dem Text einen eigenen sprachlichen Sound verleiht, wie Béla Rothenbühler selber seine Motivation dafür umschreibt.
Nein, erst der Dialekt macht, dass der Text aus der heiteren Harmlosigkeit, die vorgibt, das ziellose Kifferleben des Helden als «Carpe diem»-Modell zu feiern, eine schleichende Wendung nimmt. Und dass hinter dem dialekt-verbrämten sympathischen Jedermann ein egozentrischer Versager zum Vorschein kommt. «Er ist ein Ekel», gibt Béla Rothenbühler auf unsere Anfrage unverblümt zu.
So subtil ist noch selten eine Hauptfigur demontiert worden, wie in diesem in jeder Hinsicht überraschenden Roman. Gerade dank dem Dialekt. Doch trägt dieser auch dazu bei, dass man bis zum Ende mit dem Luzerner Thomas Müller mitfühlt. Und hofft, dass es für ihn doch noch irgendwie gut herauskommt. Er ist halt doch einer von uns.
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